2016-05-04

„Die armenischen Okkupationstruppen schossen mit schweren Waffen auf Zivilisten"

Der Botschafter der Republik Aserbaidschan in Berlin, Pərviz Şahbazov, stand EURASIANEWS.de für ein Interview zu den jüngsten politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in und um die Kaukasusrepublik zur Verfügung. Vor allem der jüngst wieder aufgeflammte Konflikt um die Region Bergkarabach und die energiepolitischen Projekte TAP und TANAP standen im Fokus des Interesses.

ehr geehrter Herr Şahbazov, die jüngste Eskalation im eingefrorenen Konflikt rund um die Region Bergkarabach hat Besorgnis über einen neuen Unruheherd in der Region ausgelöst. Wie berechtigt ist die Kriegsangst?

Wir haben seit 1994 mit Armenien einen Waffenstillstand, der allerdings immer wieder brüchig ist. Wir haben Anfang April leider die größte Eskalation seit dem Waffenstillstandsabkommen erleben müssen, die leider auch viele Menschen das Leben gekostet hat. Am 05. April 2016 wurde dann in Moskau unter der Vermittlung Russlands zwischen den Generalstabschefs der jeweiligen Streitkräfte von Armenien und Aserbaidschan eine erneute Waffenruhe vereinbart. Aber diese Ereignisse zeigen deutlich: Der Berg-Karabach-Konflikt ist kein sogenannter „frozen conflict". Denn solange die Streitkräfte Armeniens die militärische Okkupation der aserbaidschanischen Gebiete fortsetzten und das Leben der aserbaidschanischen Zivilisten gefährden, kann der Konflikt jederzeit wieder eskalieren und stellt damit eine ernste Gefahr für die Stabilität und Sicherheit im Südkaukasus dar. 

Einige Verschwörungstheorien sehen hinter den vorübergehend neu entfachten Kampfhandlungen eine vermeintliche Regie aus Ankara und den Versuch, angesichts des Scheiterns des beabsichtigten Regimewechsels in Syrien und der verschlechterten Beziehungen zu Russland einen neuen Stellvertreterkrieg zu schaffen. Andere sehen Anzeichen für russische Einmischungen. Wie viel Einfluss Dritter steht tatsächlich hinter den Kampfhandlungen?

Der Berg-Karabach-Konflikt ist ein zwischenstaatlicher Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Armenien hält seit mehr als 20 Jahren fast ein Fünftel unseres Staatsterritoriums, dabei nicht nur die Berg-Karabach-Region, sondern auch sieben andere umliegende Gebiete, völkerrechtswidrig besetzt und verweigert mehr als einen Millionen aserbaidschanischen Flüchtlingen und Binnenvertrieben die Heimkehr. Der UN-Sicherheitsrat hat Armenien in vier Resolutionen 1993 aufgefordert, die völkerrechtswidrige Okkupation der aserbaidschanischen Gebiete zu beenden. Auch der Europarat und das Europäische Parlament forderten entsprechend 2005 und 2013 den Rückzug der armenischen Streitkräfte aus den besetzten Gebieten. Diese Forderungen werden seitens Armeniens bis heute ignoriert.

Seit dem Waffenstillstand versuchen wir mit Vermittlung der Minsk-Gruppe der OSZE, diesen Konflikt friedlich zu lösen. Die Ko-Vorsitzenden der Minsk-Gruppe – Russland, Frankreich und die USA – haben bisher viele Gespräche zwischen den Staatspräsidenten beider Länder organisiert. Die Bemühungen im Rahmen der OSZE konnten bisher leider keinen Erfolg erringen, weil Armenien keine konstruktive Haltung einnimmt und das geltende Völkerrecht missachtet.

Den Grund für die jüngsten Kampfhandlungen sowie für alle früheren Eskalationsfälle muss man nicht in Verschwörungstheorien, sondern in der völkerrechtswidrigen Anwesenheit der Streitkräfte Armeniens auf aserbaidschanischem Boden suchen. Anfang April haben die armenischen Okkupationstruppen aserbaidschanische Siedlungen nahe der Frontlinie und der aserbaidschanischen Positionen mit schweren Waffen intensiv beschossen. Sechs aserbaidschanische Zivilisten sind infolgedessen ums Leben gekommen, darunter ein 16-jähriges Mädchen. Mehr als 20 Zivilisten wurden verletzt. Natürlich musste unsere Armee auf diese Angriffe reagieren, denn es ist ihre verfassungsrechtliche Verpflichtung, für das friedliche und sichere Leben der aserbaidschanischen Bürger in eigenem Land Sorge zu tragen.

Aserbaidschan wird voraussichtlich einer der größten Profiteure des Baus der TANAP-Pipeline und des Versuches der EU sein, ihre Abhängigkeit von der Gazprom zu reduzieren. Jüngsten Berichten zufolge soll sie sogar schon früher als gedacht fertig werden. Sind diese zutreffend und in welcher Form wird speziell Aserbaidschan von dem Projekt profitieren?

Mit den Entscheidungen über die TAP- und TANAP-Projekte, mit denen aserbaidschanisches Erdgas seinen direkten Weg auf den europäischen Markt finden wird, hat sich Aserbaidschan zu einer Schlüsselposition im Südlichen Gaskorridor aufgeschwungen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens über die Investitions-Entscheidung um das Gasprojekt Shah Deniz II im Dezember 2013 wurde die Versorgung des Südlichen Gaskorridors mit aserbaidschanischem Erdgas endgültig gesichert.

Unsere erfolgreiche Energiepartnerschaft mit der EU dient einerseits den europäischen Interessen, die Energiebezugsquellen zu diversifizieren und trägt somit zur europäischen Energiesicherheit bei. Andererseits profitiert mein Land dabei enorm in seiner wirtschaftlichen Entwicklung. Aserbaidschan präsentiert weltweit erfolgreiche Lösungsmuster, wie die Energieerlöse zum Wohle der eigenen Bürger eingesetzt werden können.

Der Transport der aserbaidschanischen Gasressourcen aus dem Gasfeld Shah Deniz 2 auf den europäischen Markt gilt als eines der größten Energieprojekte weltweit. Dieses Projekt – verbunden mit Investitionen in Höhe von 45 Milliarden US-Dollar – wird in Aserbaidschan und den entsprechenden Transit-Ländern 30 000 neue Arbeitsplätze schaffen, die langfristige wirtschaftliche Entwicklung meines Landes sichern und seine Rolle als Motor der regionalen Zusammenarbeit stärken. Dieses Diversifizierungsprojekt dient den Interessen aller Beteiligten und insbesondere auch der Energiesicherheit Aserbaidschans und der Transit- und der Bezugsländer in Europa.

Das nicht immer unproblematische Verhältnis Aserbaidschans zum Iran hat sich im Laufe der letzten Jahre verbessert, im Vorjahr war sogar vom Aufbau einer gemeinsamen Verteidigungskommission die Rede. Hat das nach dem Abschluss des Atomabkommens gestiegene internationale Prestige des Iran auch die bilateralen Beziehungen zwischen Teheran und Baku beeinflusst?

Wir sind immer dafür gewesen, dass der Streit um das iranische Nuklearprogramm friedlich und durch Dialog beigelegt wird und wir haben natürlich den am 14. Juli 2016 in  Wien vereinbarten Joint Comprehensive Plan of Action zwischen den E3+3-Staaten und dem Iran sehr begrüßt.

Wir hoffen, dass die Umsetzung dieser Vereinbarung neue Perspektiven zur regionalen und internationalen Zusammenarbeit für Frieden, Sicherheit und Stabilität in der Region, und über deren Grenzen hinweg, eröffnen wird. Dieser Prozess wird sicherlich auch zur weiteren Entwicklung der schon bestehenden, gegenseitig nützlichen Partnerschaft zwischen dem Iran und Aserbaidschan einen Beitrag leisten.

In Zeiten angespannter Beziehungen zwischen dem Iran und Aserbaidschan kamen stets wechselseitige Beschuldigungen auf, die jeweils eine Seite würde im jeweils anderen Land Minderheiten aufwiegeln, um Destabilisierung zu bewirken. Wie würden Sie die derzeitige Lage der aserbaidschanischen Minderheit im Iran beurteilen?

Der Iran ist ein wichtiges Land in unserer Region, mit dem wir immer gutnachbarschaftliche und freundschaftliche Verhältnisse pflegen. Unsere Völker verbinden eine lange gemeinsame Geschichte in unserer Region, natürlich auch kulturelle, ethnische und religiöse Gemeinsamkeiten. Alle Fragen zwischen diesen freundschaftlichen Ländern werden dementsprechend in Solidarität und konstruktivem Dialog behandelt. Unseren zwischenstaatlichen Beziehungen liegen völkerrechtliche Prinzipien wie Souveränität, territoriale Integrität, Achtung international anerkannter Grenzen, Gleichberechtigung, gegenseitige Achtung und Nicht-Einmischung in interne Angelegenheiten zugrunde.  

Immer mehr auf internationaler Ebene bedeutsame Länder versuchen, durch eine internationale Ausrichtung ihrer Medienlandschaft eine Gegenöffentlichkeit zu verzerrten Darstellungen der Situation in ihrem Land im Westen herzustellen. Von RT über Telesur, Press TV oder Al Jazeera bis hin zu regierungsnahen türkischen Projekten in deutscher oder englischer Sprache sind zahlreiche Nachrichtensender und Internetportale an den Start gegangen. Hat Aserbaidschan, das in westlichen Medien ebenfalls als autokratischer Staat dargestellt wird, schon einmal daran gedacht, ebenfalls diesen Weg zu gehen?

Natürlich verfolgen wir das Ziel, dass unser Land in der westlichen Öffentlichkeit objektiv dargestellt wird. Eine rasante Entwicklung in allen Bereichen seiner 25-jährigen Unabhängigkeit, eine stabilisierende Rolle in der Region, eine verlässliche Partnerschaft mit Europa und eine Brückenfunktion zwischen dem Orient und Okzident sowie eine gut funktionierende Multikulturalität und eine große religiöse Toleranz sind Markenzeichen meines Landes, die von den Medien auch anerkannt werden müssten. Leider werden diese Themen in den westlichen Medien vernachlässigt behandelt oder nicht genug berücksichtigt. Genauso verhält es sich auch bei dem für uns schmerzlichen Thema, dem Berg-Karabach-Konflikt mit Armenien, über den nicht genügend und auch nicht immer objektiv berichtet wird. Für einige Korrespondenten besteht das Aserbaidschan-Bild leider komplett aus Vorurteilen. Statt einer falsch darstellenden Presse entgegenzutreten, wollen wir lieber mit den betreffenden Journalisten über alle Fragen offen kommunizieren, um ihre voreingenommene Stellung gegenüber Aserbaidschan zu korrigieren. Ich muss immer wieder betonen, dass meine Mitarbeiter und auch ich jederzeit gerne den Medien für Hintergrundgespräche zur Verfügung stehen. Dieses Angebot wird leider nicht immer von allen in Anspruch genommen.

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