2016-05-30

Bergkarabach: Nicht allzu viel Hoffnung auf Frieden

Die politische Lösung des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan um die umkämpfte Region Bergkarabach bekam am 16. Mai in Wien einen neuen Impuls. Die Teilnahme des russischen Außenministers Sergej Lawrow und seines US-Kollegen John Kerry an der Verhandlungsrunde sorgte offenbar dafür, dass die Präsidenten Armeniens und Aserbaidschans dem Treffen im letzten Moment zugestimmt hatten.

Diese Zusammenkunft war der erste direkte Kontakt zwischen den Präsidenten der beiden Konfliktparteien, nach den schweren Gefechten Anfang April diesen Jahres, die zahlreiche Verluste auf den beiden Seiten zur Folge hatten.

Völkerrechtlich gehört das Gebiet Bergkarabach Aserbaidschan, derzeit wird es jedoch fast ausschließlich von Armeniern bewohnt. Die aktuelle ethnische Zusammensetzung entstand im Zuge des Kriegs in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts.

Die aserbaidschanische Bevölkerung wurde aus der Region Bergkarabach und sieben umliegenden Gebieten vollständig vertrieben.

Das Treffen in Wien weckt Hoffnungen auf die Rückkehr der Konfliktparteien zum politischen Prozess und somit eine friedliche Beilegung des Problems. In diesem Sinne äußerten sich auch die Ko-Vorsitzenden der Minsker Gruppe der OSZE, die sich seit Jahrzehnten erfolglos um die Konfliktlösung bemüht.

Stärkung des Waffenstillstandes

Ein weiteres Treffen der Präsidenten sei für Juni geplant. Auch die Stärkung des Waffenstillstandes an der Frontlinie war eines der zentralen Themen bei den Wiener Verhandlungen.

Es bleiben aber die Fragen offen, wann und in welchem Umfang die besprochenen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen durchgesetzt werden. Der armenische Präsident Serzh Sargsian äußerte seinen Wunsch, dass diese noch vor dem neuen Treffen mit seinem aserbaidschanischen Amtskollegen implementiert werden.

Das offizielle Baku stimmt der Stärkung des Waffenstillstandes grundsätzlich zu, jedoch müssten aus seiner Sicht die in Wien bislang besprochenen vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen weitaus stärker mit dem politischen Lösungsprozess für den Konflikt verknüpft werden.

Der Politikwissenschaftler Heiko Langner, der sich seit vielen Jahren mit dem Konflikt befasst, teilt diesen Ansatz: „Aus Sicht des Völkerrechts bildet das gesamte von Armenien militärisch besetzte Territorium, einschließlich des früheren Autonomiegebiets Bergkarabach, de jure ein integraler Bestandteil der Republik Aserbaidschan. Die Rückgabe zumindest der sieben Bezirke außerhalb Bergkarabachs, die vor dem Krieg von der aserbaidschanischen Bevölkerung bewohnt waren, ist für Fortschritte in den Friedensverhandlungen unerlässlich. Anderenfalls würde Armenien für seine völkerrechtswidrige Besatzungspolitik und Verweigerungshaltung in den Verhandlungen mit vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen geradezu belohnt werden", meint der Experte.

„Die militärische Besatzung Armeniens ist jedoch nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, das endlich aus der Welt geschafft werden muss", so Langner.

Wachsender innenpolitischer Druck

Eine ähnliche Meinung vertritt der Autor des Buchs „Konfliktherd Südkaukasus", Prof. Dr. jur. Rüdiger Kipke aus der Universität Siegen. „Die Einführung weiterer Mechanismen, etwa zur Untersuchung von Zwischenfällen, ist vielleicht geeignet, die Frontlinien zu stabilisieren und die Zahl der Opfer dort zu reduzieren. Das Bemühen um eine grundlegende Problemlösung wird dann aber eher nachlassen - und der Frieden in der Region gefährdet bleiben", meint Kipke.

Ob die Lage an der Front bis zum neuen Präsidententreffen im Juni stabil bleibt ist fraglich. Für die Stabilität spricht die intensive Vorbereitung Aserbaidschans auf das Formel-1-Rennen. Der spektakuläre Sportwettbewerb soll Mitte Juni in der Hauptstadt Baku stattfinden, und die Machtelite Aserbaidschans, die das Image des Landes durch solche Großevents zu verbessern versucht, kann an einer Gewalteskalation zu dieser Zeit kaum interessiert sein.

Eine Explosionsgefahr stellt aber der wachsende innenpolitische Druck auf den armenischen Machthaber Serzh Sargisan, wegen der hohen Verluste der armenischen Armee im April, dar.

Armeniens Präsident musste kürzlich zugeben, dass seine Truppen im April circa acht Quadratkilometer Territorium verloren hätten, wobei er Anfang April lediglich von „200 bis 300 Metern" sprach.

Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium spricht gar von „20 Quadratkilometern befreiten Landes". Von der Unzufriedenheit Sargsians mit dem eigenem Militär zeugt seine Entscheidung, nach den Gefechten im April gleich mehrere Generale zu feuern.

In dieser Situation ist in Armenien die Versuchung groß, sich bei den Aserbaidschanern zu rächen. Hinzu kommt die Tatsache, dass der Machterhalt durch die jeweiligen Eliten in Baku und Eriwan sehr stark von den Entwicklungen im Konflikt abhängt.

Aus diesem Grund dürfen die in Wien entstandenen Hoffnungen auch nicht täuschen: Ein Kriegsszenario ist nach wie vor nicht auszuschließen, die Risiken bleiben sehr hoch. Angesichts der jüngsten Ereignisse an der Front sind die substanziellen Friedensverhandlungen, die das Konfliktpotential möglichst bald entschärfen und den Frieden in der Region nachhaltig sichern würden, dringender denn je.

Dieser Artikel wurde auf THE HUFFINGTON POST veröffentlicht.

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